Die kleinen Wunder

Von WIN SCHUMACHER und RAM MALIS (Fotos)
Foto: Ram Malis

13. Februar 2023 · Bukkosträucher, Zuckerbüsche, Nadelkissen und Milkwood-Bäume: Das Kap-Florenreich ist Heimat von fast 20 Prozent der afrikanischen Pflanzenarten – und im Gegensatz zu den wilden Tieren laufen sie bei einer Südafrika-Tour nicht davon.

Sein Reich ist ein Blumenfeld wie aus einem Märchenfilm. Prinzessinnenpink, königsrot und feenweiß blüht es am Fuß des Simonsbergs. Unweit der Pflanzenidylle verleiht ein schroff aufsteigender Gebirgszug den verwunschenen Blüten eine eindrucksvolle Kulisse. Und Ernst van Jaarsveld streicht mit seiner von trockener und feuchter Erde gefurchten Gärtnerhand über frisches Grün, zarte Knospen und mit Dornen bewehrte Blüten. „Von dieser hier, Cyanella orchidiformis, und diesen Watsonia dort nutzten die indigenen Völker bereits die Knollen als Nahrung“, sagt der Botaniker. „Aus dieser hier“, führt er weiter aus, „machten sie Schlingen für ihre Fallen, und aus diesen Wasserpflanzen hier, Aponogeton distachyos, machen wir Südafrikaner Eintopf. Überhaupt wissen wir fast alles über den Nutzen und die Heilwirkung der Arten von den Khoisan am Kap. Es war ihre Kenntnis über die Pflanzen, die ihnen das Überleben in dieser harschen Umgebung ermöglichte.“


„Von dieser hier, Cyanella orchidiformis, und diesen Watsonia dort nutzten die indigenen Völker bereits die Knollen als Nahrung. (...) Überhaupt wissen wir fast alles über den Nutzen und die Heilwirkung der Arten von den Khoisan am Kap.“
Ernst van Jaarsveld, Botaniker

Ernst Jacobus van Jaarsveld, Botaniker
Ernst Jacobus van Jaarsveld, Botaniker

Wer Ernst Jacobus van Jaarsveld über ein blühendes Feld an Südafrikas Westkap folgt, begibt sich auf eine Safari ins Reich der Pflanzen. Kaum jemand weiß so viel über die Abertausenden an Arten wie der 70-Jährige, der fast vier Jahrzehnte im berühmten botanischen Garten von Kirstenbosch in Kapstadt arbeitete. „Wir haben eine Vielfalt, die weltweit ihresgleichen sucht“, sagt van Jaarsveld. Das Kap-Florenreich, die Capensis, ist das kleinste der sechs kontinentalen Florenreiche der Welt. In Hinblick auf seine Zahl an Arten im Verhältnis zur Fläche ist es jedoch das reichste. Es umfasst lediglich 0,5 Prozent Afrikas an der Südspitze des Kontinents, ist hingegen Heimat von fast 20 Prozent seiner Pflanzenarten. Durch einen Wüstengürtel ist es von der riesigen Paläotropis getrennt, die fast ganz Afrika umfasst und über die Arabische Halbinsel, Indien und Südostasien bis Neuguinea reicht. Von mehr als 9000 bekannten Pflanzenarten der Capensis sind etwa 70 Prozent endemisch. Viele Blumen gab es ursprünglich einzig in einem schmalen Streifen Land, der sich von den Zedernbergen nördlich von Kapstadt bis Port Elizabeth zieht. Etliche sind heute jedoch aufgrund ihrer Farbenpracht und Formenvielfalt beliebte Garten- und Balkonpflanzen weltweit. Klivien, Freesien, Kapkörbchen und die Echte Amaryllis haben allesamt ihre Heimat an der Südspitze Afrikas. 

„Nehmen wir die Familie der Silberbaumgewächse“, sagt van Jaarsveld und weist auf einen Strauch mit ausladenden orangerosa Blüten und herausstehenden goldgelben Fäden hin. Auf Deutsch wird die Leucospermum-Art aufgrund ihres Aussehens auch Nadelkissen genannt. „Viele Insekten und andere Tiere sind allein auf wenige Arten wie diese spezialisiert.“ Zu den Silberbaumgewächsen zählt auch die Königsprotea, Südafrikas Nationalblume mit ihren prächtigen, sonnenblumengroßen Blütenkronen. An dem Botaniker schwirrt ein schillernd smaragdgrüner Vogel vorbei und lässt sich neben einer Blüte nieder. „Der Malachitnektarvogel ist nur eine von vielen Arten, die als Bestäuber von Pflanzen wichtig sind“, erklärt van Jaarsveld.

In Babylonstoren, unweit der berühmten Weingegend von Stellenbosch, weniger als eine Autostunde von Kapstadt, hat van Jaarsveld den Blumen am Kap einen eigenen Garten eingerichtet. Hier blühen nun himmelblaue Kap­astern neben knallpinken Mittagsblumen und dottergelben Goldmargeriten in leuchtend farbigen Blütenteppichen. Daneben wuchern Sukkulenten über Felsbrocken, auf denen sich Agamen mit türkisblauen Köpfen sonnen. „Fast alles hier stammt vom Westkap“, erklärt er. „Nur die Welwitschie da drüben habe ich aus Namibia.“ Die kuriose Wüstenpflanze, der van Jaarsveld eigens ein Dach gegen die häufigen Niederschläge im Winterregengebiet am Westkap zimmern ließ, besitzt nur ein einziges, bisweilen über zwei Meter langes Blattpaar. Sie kann mehrere Hundert Jahre alt werden.


„Der Grund, warum die Pflanzenwelt hier im Süden Afrikas so vielfältig ist, liegt an dem Stress, dem sie ausgesetzt ist.“

„Der Grund, warum die Pflanzenwelt hier im Süden Afrikas so vielfältig ist, liegt an dem Stress, dem sie ausgesetzt ist“, sagt van Jaarsveld. Klimatisch ex­treme Bedingungen, regelmäßige Feuer und der Druck durch viele pflanzenfressende Tiere ließen die Flora am Kap ausgefeilte Strategien entwickeln, die sie in zahllosen ökologischen Nischen überlebensfähig machte. Einige Pflanzen des Fynbos, des immergrünen Bioms am Kap, keimen erst nach einem Feuer. Um das sogenannte Feuerökosystem zu erhalten, legen Naturschützer heute bisweilen gezielt Buschbrände. Seit Langem sind Fynbos-Gebiete durch Landwirtschaft, städtische Entwicklung, Infrastrukturprojekte und invasive Pflanzen gefährdet. Viele ihrer Arten sind inzwischen selten geworden oder bereits ganz verschwunden.

Ein typischer Bewohner der Capensis: Der Kapbrillenvogel ist in Südafrika und im südwestlichen Mosambik endemisch.
Ein typischer Bewohner der Capensis: Der Kapbrillenvogel ist in Südafrika und im südwestlichen Mosambik endemisch.
Von Rot bis Lila: Mittagsblumen leuchten in verschiedenen Farben
Von Rot bis Lila: Mittagsblumen leuchten in verschiedenen Farben
Die Königsprotea ist die Nationalblume Südafrikas und gehört zu den größten und bekanntesten Blüten der Capensis.
Die Königsprotea ist die Nationalblume Südafrikas und gehört zu den größten und bekanntesten Blüten der Capensis.
Die Watsonia gehört zur Gattung der Schwertliliengewächse. In Südafrika gibt es über 50 Arten.
Die Watsonia gehört zur Gattung der Schwertliliengewächse. In Südafrika gibt es über 50 Arten.

„Jahrzehntelang hat es die Menschen nicht gekümmert, dass wir immer mehr Fynbos verlieren“, sagt van Jaarsveld, „langsam jedoch beginnt ein Umdenken.“ Als kapholländische Farm wurde Babylonstoren bereits 1692 gegründet. Über Jahrhunderte hat man Obst, Gemüse, Oliven und Wein angebaut. In einem der bekanntesten Hotels in den Cape Winelands können Gäste und Tagesbesucher heute noch stundenlang durch die ausgedehnten Gartenanlagen und Weinberge um das historische Gut mit seinen schmucken weiß getünchten Zwerchgiebeln und reetgedeckten Dächern schlendern.

Das Weingut hat inzwischen jedoch einen Teil seiner Fläche der einheimischen Flora gewidmet und beschäftigt neben van Jaarsveld auch einen Entomologen, der über die Insekten verschiedener Biotope auf dem weiträumigen Gelände und dem angrenzenden Simonsberg-Schutzgebiet forscht. Baby­lonstoren legt heute Wert darauf, dass seine Gäste nicht nur den Weinbau erleben können und die Rosen- und Obstgärten durchstreifen, sondern auch die natürliche Flora und Fauna entdecken. „Die Gäste kehren mit einem ganz neuen Verständnis für die Pflanzen am Kap zurück“, sagt van Jaarsveld. „Auch Südafrikaner können noch viel über den Fynbos lernen.“


„Die Gäste kehren mit einem ganz neuen Verständnis für die Pflanzen am Kap zurück. Auch Südafrikaner können noch viel über den Fynbos lernen.“

Die meisten Südafrika-Touristen verbinden eine Safari im Kruger-Nationalpark oder einem anderen Schutzgebiet des Landes mit ein paar Tagen in Kapstadt oder entlang der Garden Route. Nur wenige erkunden die Schutzgebiete zwischen dem Kap der Guten Hoffnung und Port Elizabeth, die heute das UNESCO-Weltnaturerbe „Cape Floral“ bilden. Zwar begegnet man hier nicht Afrikas berühmten Großtieren wie Elefanten, Nashörnern und Löwen, Naturbegeisterte können jedoch genauso über die kleinen Wunder des Fynbos und seine enorme Vielfalt staunen.

Etwa 150 Kilometer von Simonsberg in Richtung von Kap Agulhas, dem südlichsten Punkt Afrikas, überzieht noch immer Fynbos die Hänge entlang der Küste. Im Grootbos-Reservat unweit der Walker Bay an der berühmten ­Whale Coast regieren die Blumen. Im Wechsel der Jahreszeiten leuchten die Berge hier zartrosa in den Farben von blühenden Erikasträuchern, pink und purpur von den Zuckerbüschen oder orange von den Nadelkissen-Silberbäumen.

Diese Blumenpracht ist Chris Lochners Zuhause. Gerade hat der Maler mit feinem Pinselstrich den Blütenstand einer Protea-Art auf seiner Staffelei fertiggestellt. Durch das Fenster vor seinem Arbeitsplatz kann er zusehen, wie bunte Kapnektarvögel durch das Gebüsch schwirren. Der Flötenwürger, ein drosselgroßer Singvogel mit schwarzem Rücken und zimtfarbenem Bauch, pfeift sein Piccolo-Stakkato. Flussfrösche proben ihr Balz-Repertoire – es gleicht fallenden Wassertropfen und dezentem Spatzengezwitscher.

Ein Brunnen im Garten Baylonstoren, zwischen den ungezählten Pflanzen der Kapflora
Ein Brunnen im Garten Baylonstoren, zwischen den ungezählten Pflanzen der Kapflora

Lochner ist Kurator des Florilegiums von Grootbos. Inmitten des Reservats haben 44 südafrikanische und internationale Pflanzenmaler mit einer eindrucksvollen Ausstellung den Blumen am Kap ein Denkmal gesetzt. Unter den Malern sind in der Szene bekannte Namen wie die Südafrikanerin Vicki Thomas, die Japanerin Mieko Ishikawa und der Deutsche Andreas Hentrich. Die jüngste und einzige zeitgenössische Kunstausstellung über die Flora des Fynbos zieht heute Touristen aus dem In- und Ausland an. Bisweilen können die Besucher die Künstler auch bei einem im angrenzenden Fynbos geernteten Rooibos- oder Honigbusch-Tee treffen.

„Jede Pflanze hat eine andere Geschichte zu erzählen“, sagt Lochner beim Rundgang durch das Florilegium. „Wir wollten auch ihre Beziehungen zu Insekten, Vögeln und anderen Tieren darstellen.“ Wer dem Künstler durch die Ausstellung folgt, gewinnt einen mitunter fast mikroskopischen Einblick in das komplexe Zusammenleben von Pflanzen und ihren Bestäubern. Wer hätte schon gewusst, dass die Rauflust langbeiniger, haariger Käfer-Männer, die die Südafrikaner treffend „Monkey Beetles“ nennen, zur Überlebensstrategie einiger Blumen zählt? Und dass sich andere der Arbeitswut von Ameisen bedienen, die ihre Samen bequem in die vor Buschfeuern sichere Erde katapultieren? Wieder andere setzen auf die Dienste von Schmetterlingen, Mäusen und Pavianen.

Blick auf die Fynbos-Cottages im historischen Weingut Babylonstoren
Blick auf den Fynbos-Cottages im historischen Weingut Babylonstoren

„Botanische Kunst vereint Naturwissenschaft und Kunst“, sagt Lochner. Wie die ersten europäischen Forscher, die bereits im 17. und 18. Jahrhundert mit ihren Skizzen zu fremden Pflanzen am Kap die Gelehrten in Amsterdam, Paris und London zum Staunen brachten, machen die Künstler des Florilegiums von Grootbos faszinierende Details von Pflanzen und Tieren sichtbar, die der Welt teils erst seit wenigen Jahren bekannt sind. „Einige tauchen nach einem Feuer urplötzlich auf und verschwinden dann wieder für ein Dutzend Jahre“, sagt Lochner.

Mit den Bildern der botanischen Maler vor Augen treten die Gäste des Florilegiums hinaus in die Natur vor den Wänden der Ausstellungsräume. Sie atmen den süßen Anisduft des Bukko­strauchs. Sie lauschen dem verträumten Lied des Paradiesschnäppers im Geäst von 800 Jahre alten Milkwood-Bäumen. Sie sehen dem elfengleichen Kaphonigvogel zu, wie er mit seinen endlosen Schwanzfedern von Blüte zu Blüte der Zuckerbüsche flattert. Das Blumenreich am Kap erfüllt die Sinne aller Besucher, die Augen für die Details des Lebens haben. Sie schätzen sich glücklich, dass sie ihre Reise nicht allein Südafrikas Elefanten, Nashörnern und Löwen gewidmet haben.

Der Weg nach Südafrika

Anreise: Zum Beispiel mit Lufthansa nonstop ab Frankfurt oder München nach Kapstadt (www.luft­hansa.com). Veranstalter Andbeyond verbindet ­Safaris im Kruger-Nationalpark oder im Phinda-Wildreservat in KwaZulu-Natal mit verschiedenen Stationen in den Schutzgebieten des Kap-Florenreichs. www.andbeyond.com
Auch Abendsonne Afrika bietet Reisen mit Fokus auf die Flora und Fauna Südafrikas an. www.abendsonneafrika.de

Unterkunft: Von den Fynbos-Cottages von Babylonstoren blickt man über blühendes Buschland auf den Gebirgszug des Simonsberg-Schutzgebiets. Das als kapholländische Farm gegründete Weingut beherbergt heute eines der ­traditionsreichsten Hotels Südafrikas. DZ ab 620 Euro inkl. Frühstück und Aktivitäten, www.babylonstoren.com
Die Lodges des Grootbos-Naturreservats liegen inmitten des ­artenreichen Fynbos nahe am südlichsten Punkt Afrikas. Von hier aus lassen sich Ausflüge ins Kap-Florenreich und Meeressafaris in der Walker Bay unternehmen. DZ inkl. VP und Aktivitäten im Reservat ab 500 Euro/Person, www.grootbos.com

Weitere Informationen: southafrica.net

Hinweis der Redaktion: Zum Teil werden Recherchereisen von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien oder Fremdenverkehrsämtern unterstützt.


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